Die Geschichte der Kirche ist zugleich auch eine jahrhundertealte Geschichte menschlichen Kulturschaffens. Zu jeder Zeit war und ist es dem Menschen ein Anliegen, seinem Glauben sinn- und auch bildhaft Ausdruck zu verleihen. Mit den Mitteln der bildenden Kunst, der Architektur, der Literatur und der Musik können Aussagen über Menschsein, Gottesbezug und Fragestellungen des Lebens transportiert werden.
Konzept des pastoralen Schwerpunktes
„Kirche und Kultur“
Kirche und Kultur
Die Inhalte des christlichen Glaubens boten lange Zeit den alleinigen Anlass für künstlerisches Schaffen. Mit Beginn der Neuzeit erhielt die Kunst eine bis dahin unbekannte Eigenständigkeit. Dennoch blieben die Geschicke von Kirche und Kunst häufig eng miteinander verzahnt. Als voneinander unabhängige Größen treten sie nun in einen Dialog miteinander.
Mit dem 2. Vatikanischen Konzil entstand eine grundsätzlich neue Beziehung von Kirche und Welt, von Kirche und moderner Kultur und damit auch von Kirche und Kunst:
„Auf ihre Weise sind auch Literatur und Kunst für das Leben der Kirche von großer Bedeutung. Denn sie bemühen sich um das Verständnis des eigentümlichen Wesens des Menschen, seiner Probleme und seiner Erfahrungen bei dem Versuch, sich selbst und die Welt zu erkennen und zu vollenden; (...).
So dienen sie der Erhebung des Menschen in seinem Leben in vielfältigen Formen je nach Zeit und Land, das sie darstellen. Durch angestrengtes Bemühen soll erreicht werden, dass die Künstler das Bewusstsein haben können, in ihrem Schaffen von der Kirche anerkannt zu sein, und dass sie im Besitz der ihnen zustehenden Freiheit leichter zum Kontakt mit der christlichen Gemeinde kommen. Auch die neuen Formen der Kunst (...) sollen von der Kirche anerkannt werden.“
GS 62
Das Konzil reklamierte ausdrücklich ein Recht auf Kultur, das jedem Menschen zusteht (GS 42, 55, 58). Das heißt auch, dass Kultur in der Kirche immer für jede(n) erlebbar sein muss. Der Christ ist sozusagen verpflichtet, in die Auseinandersetzung mit der Kultur einzutreten, sich als Kirche in Zeitgenossenschaft mit Kunst auf der Höhe ihrer Zeit zu beschäftigen.
Derzeit scheinen viele Menschen neu zu entdecken, dass das Kulturengagement der Kirche, das hinzielt auf Werteorientiertheit, einen ideellen Mehrwert hat. Kirche hat den Auftrag, kulturelle Initiativen zu fördern und Prozesse in Gang zu setzen. Dabei hat sie Wert darauf zu legen, nicht nur das zu machen, was ankommt, sondern das, worauf es ankommt.
Kulturelle Verantwortung der Kirche
Gott offenbart sich dieser Welt – ganz unterschiedlich je nach Kultur und Umwelt. Künstlerischer Ausdruck macht deutlich, dass die Welt Gottes die von ihm in die Freiheit entlassene Schöpfung ist. Sie ist dem Menschen zur Kultur in die Verantwortung anvertraut. Die Kirche übernimmt dies indem sie sagt, dass das Evangelium in der jeweils neuen Umwelt durch die Schaffenskraft des Menschen neu verkündet werden muss.
„Schöpfertum und Kunst, die einer Seele im Glücksfall zukommen, sind zwar nicht jene wesensmäßige Kunst, die Gott ist; aber sie sind Mitteilung und Teilhabe an ihr.“
Nikolaus von Kues
In der heutigen Kunst und Literatur werden das Lebensgefühl, die Lebenssituation, aber auch die Fragen der heutigen Menschen auf eindrucksvolle Art dargestellt. Kirche ist darauf angewiesen – wenn sie auf das „Aggiornamento“, auf das Heutigwerden des christlichen Glaubens bedacht ist -, diese Äußerungen wahrzunehmen.
Die Kirche bedarf der Kunst zur Vermittlung ihrer Botschaft. Sie bedarf des Wortes, das vom Wort Gottes Zeugnis gibt und zugleich Menschenwort ist, wie es uns in der Sprachwelt von heute begegnet. Doch Glauben findet nicht nur durch das Hören Zugang zum Menschen, sondern über alle Sinne.
Die Kirche bedarf deshalb auch der Bilder, Zeichen und Symbole. In der Bibel ist eine Fülle von Bildern und Gleichnissen erzählt. Im Neuen Testament wird Christus als das Bild des unsichtbaren Gottes beschrieben.
Die Kirche ist die Kirche der Sakramente, der heiligen Zeichen und Symbole. Eine bis heute wichtige Rolle kommt der Kirche als Bewahrerin des kulturellen und künstlerischen Erbes zu. Das Kunstwerk behält im Sakralraum und in der Liturgie seine funktionsgebundene Situierung. Zugleich regt die Kirche neue kulturelle Leistungen an. Auch als Auftraggeberin von Kunst ist Kirche verpflichtet, die künstlerische Freiheit zu achten.
Kirche war immer schon Kulturträger im öffentlichen Raum. Sie erhält über das Medium Kunst/Kultur nicht nur Zugang zu vielen, auch kirchenfernen Bevölkerungsgruppen, sondern auch zu allen in den Gemeinden vertretenen Kulturen und Ländern.
"Kunst verkündet!" Formen des Dialoges von Kirche und Kultur in Wiesbaden
In einer Zeit zunehmender Kommerzialisierung ist es auch die Aufgabe der Kirche, einen sinnhaften und sinnvollen Zugang zur Kunst zu vermitteln. Die Katholische Kirche in Wiesbaden will einen Raum schaffen, in dem Menschen die geistig-religiöse Tiefendimension wieder entdecken lernen. Diese Absicht basiert auf der Grundlage der Auseinandersetzung mit dem Thema „Kirche und Kultur“ im Rückblick auf 2000 Jahre Kirchen-Kultur-Geschichte, der Betrachtung der Texte aus „Gaudium et Spes“, der Beobachtung des kulturellen Lebens in Wiesbaden und der Auswertung von Aussagen der Besucherinnen und Besucher der Angebote aus dem Bereich „Kirche und Kultur“.
Es muss kirchliche Kulturarbeit vor Ort geleistet werden, um einen Dialog sowohl zwischen Kunsterfahrenden und Kirche sowie zwischen Kunstschaffenden und Kirche auf gesellschafts- und kulturpolitischer sowie theologischer Ebene zu erreichen. Kunst muss immer wieder neu verstanden werden. Kirche hat dabei einen Bildungsauftrag. Sie ist gefordert, Hilfestellung zum Kunstverstehen zu geben. Ziel einer Kultur-vermittelnden Arbeit muss es zudem auch sein, Qualitätsmaßstäbe zu setzen.
Kaum eine andere Institution wie die Kirche verfügt über ein derart weit gefächertes kulturelles Angebot, das qualitätvoll und zugleich darüber hinaus in der Regel auch erreichbar und erschwinglich ist; so geht es aus dem Ende 2007 im Bundestag vorgestellten Bericht der Enquete-Kommission zur „Kultur in Deutschland“ hervor.
Die hessische Landeshauptstadt blickt auf eine lang zurückreichende Kulturtradition zurück. Auch die Stadtkirche Wiesbaden steht in der Verantwortung, sich diesem Erbe anzunehmen und es fortzuführen.
In Wiesbaden ist ein deutlicher Bedarf an kulturellen Angeboten zu beobachten. Die Stadtkirche hat die Notwendigkeit und die Chance erkannt, das kulturelle Leben der Stadt Wiesbaden aktiv mitzugestalten. So ist beispielsweise die eher fortgeschrittene Altersstruktur der Wiesbadener Bevölkerung ein weiterer Beweggrund, die Kulturarbeit der Stadtkirche zu stärken. Das Dritte Lebensalter hat Zeit und Muße, sich kulturellen Angeboten zuzuwenden
Auch der soziale Aspekt ist von entscheidender Bedeutung: Projekte und Veranstaltungen der Stadtkirche können auch sozial schwache Menschen erreichen, da sie nicht hochpreisig angeboten werden.
Zudem sehen wir die Notwendigkeit, in einem vorwiegend protestantisch geprägten Stadtgefüge an dem Profil und der Außenwirkung der katholischen Kirche mit attraktiven Angeboten mitzuwirken.
Die Katholische Kirche muss als Partnerin in der Kulturlandschaft erkennbar sein und – neben der Zusammenarbeit mit Institutionen der Wiesbadener Kulturszene – sowohl Kulturschaffenden wie kulturell Interessierten eine Plattform zum Austausch bieten.
Vorgelegt vom Arbeitskreis „Kirche und Kultur“
Mitglieder: Stephan Arnold, Thomas Bischoff, Angelika Groth, Stefan Herok, Dr. Simone Husemann, Patricia Jacobi-Schiffer, Rainer Lemberg, Renate Reifert, Peter Joachim Riedle, Elke Wirtz-Meinert.
Überarbeitet im November 2008 von Dr. Simone Husemann, Geschäftsführung des pastoralen Schwerpunktes „Kirche und Kultur“